2. November 2011

Wie funktioniert eigentlich Magnetpulverprüfung?

Die Magnetpulverprüfung ist wie alle zerstörungsfreien Prüfverfahren die praktische Anwendung eines physikalischen Effektes bzw. einer physikalischen Eigenschaft. In unserem Fall heißt die physikalische Eigenschaft Permeabilität. Das Wort Permeabilität bedeutet Durchlässigkeit – und zwar die Durchlässigkeit eines Werkstoffes für magnetische Feldlinien.

Werkstoffe reagieren unterschiedlich auf Magnetfelder. Im folgenden Bild befinden sich Bauteile (Würfel) in einem Magnetfeld H. Dadurch wird im Bauteil ein Magnetfeld B (die magnetische Flussdichte) erzeugt. Die Physik des Magnetismus ist recht kompliziert, aber vereinfacht kann man sich die Permeabilität als das Verhältnis der Feldlinienanzahl im Inneren des Bauteils (B) zur Anzahl der äußeren Feldlinien (H) vorstellen:

  • Stoffe, die weniger Feldlinien aufnehmen, als außen vorhanden (Bild links), nennen wir Diamagnete. Diamagnete, wie z.B. Kupfer, haben eine sehr kleine Permeabilität.
  • Stoffe, die etwas mehr Feldlinien aufnehmen, als außen vorhanden (Bild Mitte), nennen wir Paramagnete. Paramagnete, wie z.B. Aluminium oder Luft, haben ebenfalls eine sehr kleine Permeabilität.
  • Stoffe, die sehr viel mehr Feldlinien aufnehmen, als außen vorhanden (Bild rechts), nennen wir Ferromagnete. Ferromagnete, wie z.B. Eisen oder Nickel, haben eine sehr große Permeabilität.

In Ferromagneten führt die hohe Permeabilität dazu, dass äußere Magnetfelder im Werkstoff extrem verstärkt werden. Ferromagnetische Werkstoffe „saugen“ Feldlinien geradezu auf, wie ein trockener Schwamm das Wasser. Das nutzen wir bei der Magnetpulverprüfung ferromagnetischer Werkstoffe. Die Magnetpulverprüfung wird mitunter auch als magnetischer Lecktest bezeichnet, und in der Tat hat sie einiges gemeinsam z.B. mit der Überprüfung der Dichtheit eines Fahrradschlauches.

Das folgende Bild zeigt ein ferromagnetisches Bauteil mit einem Riss – den wollen wir finden. Um ein Loch im Fahrradschlauch zu finden, pumpen wir den Schlauch mit Luft auf. Um den Riss im Bauteil zu finden, „pumpen“ wir das ferromagnetische Bauteil mit Feldlinien auf – wir magnetisieren es. Dabei erzeugen wir im Innern des Bauteils zahlreiche Feldlinien, die das Bauteil ausfüllen. Im Bereich des Risses gibt es aber ein Problem. Ein Riss ist nicht mit einem ferromagnetischen Material „gefüllt“, sondern z.B. mit Luft.

Luft aber ist paramagnetisch, und die vielen Feldlinien dürfen nicht einfach den Riss passieren, denn Luft kann nur wenige Feldlinien aufnehmen. Einige Feldlinien können, wie im Bild skizziert, unter den Riss „ausweichen“. Die überwiegende Zahl der Feldlinien aber muss das Bauteil im Bereich des Risses verlassen und kann erst hinter dem Riss wieder ins Bauteil „eintauchen“. Die Feldlinien, die das Bauteil verlassen, nennen wir den magnetischen Streufluss. Der Streufluss befindet sich da, wo sich der Riss befindet, und er ist vergleichbar mit der Luft, die aus einem Loch im Fahrradschlauch entweicht.

Wie wir den Streufluss S nachweisen, zeigt das nächste Bild. Wir können zum einen mit einer Sonde (im Bild links eine Spule) über die Bauteiloberfläche fahren. Bewegt sich die Spule durch das Feld des Streuflusses, dann wird in der Spule eine Spannung induziert, die mit einem geeigneten Messgerät nachgewiesen werden kann. Diese Prüftechnik nennt man Streuflusstechnik.

Wir können aber auch die Magnetpulvertechnik anwenden. Dazu tragen wir sehr kleine, ferromagnetische Teilchen (Magnetpulver) auf die Bauteiloberfläche auf. Das geschieht üblicherweise mit einer Trägerflüssigkeit, um die Beweglichkeit des Magnetpulvers auf der Bauteilfläche zu erhöhen. Ist ein Riss vorhanden, so lagern sich die Magnetpulverteilchen längs des Risses an. Warum tun sie das?

Dort, wo der magnetische Streufluss das Bauteil verlässt, bildet sich ein Magnetpol, und dort wo der Streufluss wieder ins Bauteil eintritt, bildet sich der magnetische Gegenpol. Die Magnetpulverteilchen werden also von den Magnetpolen im Bereich des Risses angezogen, eingefangen und festgehalten. Und sind sie einmal in Position, so wirken diese ferromagnetischen Teilchen für die Feldlinien des Streuflusses wie Brücken, über die die Feldlinien auf kürzestem Wege wieder ins Bauteil gelangen (Bild rechts).

Jetzt müssen wir noch dafür sorgen, dass wir die winzigen Magnetpulverteilchen schnell und zuverlässig auf der Bauteiloberfläche entdecken. Dazu werden die Teilchen mit einer Hülle aus einem Farbstoff bzw. einem fluoreszierenden Stoff versehen. Insbesondere die Prüfung mit fluoreszierendem Pulver und einem Ultraviolett-Strahler sorgt für sehr hohe Prüfempfindlichkeit.

Im Falle des beschädigten Fahrradschlauchs weisen wir die entweichende Luft mit einer Seifenlösung und die sich darin bildenden Blasen nach – wo die Blasen entstehen, da ist das Loch. Prüfen wir ferromagnetische Bauteile, dann finden wir die „magnetische Leckage“ mit Hilfe von Sonden oder Magnetpulver.

Ganz wichtig bei der Magnetpulverprüfung ist die Magnetisierungsrichtung – also die Orientierung des inneren Magnetfeldes zum möglichen Riss. In den oben dargestellten Bildern ist das Magnetfeld senkrecht zum Riss orientiert. Im nächsten Bild betrachten wir ein Magnetfeld, das parallel zum Riss verläuft. Wir sehen, dass sich die Feldlinien in diesem Falle ganz einfach an die Geometrie anpassen und keinerlei Streufluss entsteht. Wenn aber kein Streufluss existiert, dann können wir den Riss auch nicht nachweisen.

Wir erkennen, dass es Orientierungen des Magnetfeldes zum Riss gibt, für die der Riss nicht nachgewiesen werden kann. Für einen guten Nachweis müssen Riss und Magnetfeld nicht genau senkrecht zueinander orientiert sein – aber eine parallele Orientierung zueinander ist definitiv sehr schlecht für die Risserkennung. Üblicherweise wissen wir nicht, in welche Richtung die Risse orientiert sind – wir müssen bei der Magnetisierung von jeder beliebigen Rissorientierung ausgehen und entsprechend magnetisieren. Wie machen wir das? Dafür gibt es mehrere Möglichkeiten:

  • Wir magnetisieren in zwei unterschiedliche Richtungen – z.B. zweimal 90° versetzt. So erfolgt üblicherweise die Magnetpulverprüfung von Schweißnähten mit einem Handjoch.
  • Wir erzeugen ein rotierendes Magnetfeld, das alle Richtungen überstreicht. Das geschieht auf elektronischem Wege und wird kombinierte Prüfung genannt.
  • Wir können das Bauteil (und damit die möglichen Risse) durch ein konstantes Magnetfeld rotieren lassen. So funktioniert die Mindener Spule für die Magnetpulverprüfung von Eisenbahnrädern.

Magnetpulverprüfung bzw. Streuflussprüfung anzuwenden bedeutet also, Permeabilitätsunterschiede zu finden. Die Magnetpulvertechnik und die magnetische Streuflusstechnik „kennen“ keine Risse. Sie reagieren auf den Permeabilitätsunterschied, den ein Riss hervorruft, denn das Bauteil ist ferromagnetisch, die Luft im Riss aber paramagnetisch. Hätten wir eine „magnetische Flüssigkeit“ mit genau derselben Permeabilität wie das Bauteil, und würden wir mit dieser Flüssigkeit den Riss füllen, so würden Magnetpulvertechnik und Streuflusstechnik versagen.

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