16. Januar 2012

Wie funktioniert eigentlich … magnetische Hysterese? (Teil 1 – Physik)

Magnetische Hysterese ist ein Phänomen, das bei ferromagnetischen Materialien auftritt, die sich in einem veränderlichen Magnetfeld befinden. Aus Sicht der Werkstofftechnik und Werkstoffprüfung interessiert uns die Hysterese von Ferromagneten z.B. bei der Herstellung von Dauermagneten oder bei der Magnetpulver- bzw. Wirbelstromprüfung. Zu den ferromagnetischen Werkstoffen gehören u.a. Kobalt und seine Legierungen, Nickel und seine Legierungen sowie Eisen und seine Legierungen (z.B. Stähle).

Im ersten Teil dieses Blogbeitrages werden wir die magnetische Hysterese ausschließlich auf der Grundlage physikalischer Überlegungen diskutieren. Im zweiten Teil des Blogbeitrages werden wir vor allem die Mathematik zur Hilfe nehmen, um die Hysterese und die Hysteresekurven noch besser zu verstehen.

Für die physikalische und noch mehr für die mathematische Erklärung der Hysterese ist es hilfreich, zunächst einmal zu fragen, was denn das Wort Hysterese bedeutet. Hysterese kommt vom griechischen Wort hysteros und bedeutet „Verzögerung“ oder „Verzug“. Für das Verständnis der Hysterese ist es sehr hilfreich, diese einfache Übersetzung im Hinterkopf zu behalten …

Beschreibung der magnetischen Hysterese

Ein unmagnetischer Ferromagnet ist ein Material, das das Potential hat, ein Dauermagnet zu werden, aber noch keiner ist. Diesen Ferromagneten platzieren wir in einem Magnetfeld – z.B. indem wir ihn in eine stromdurchflossene Spule legen. Das äußere Magnetfeld H erzeugt im Werkstoff ein zweites magnetisches Feld, die magnetische Flussdichte B. H ist gewissermaßen die äußere „Kommandogröße“ und B die Reaktion des Werkstoffs auf dieses Kommando. Die magnetische Hysterese beschreibt den Zusammenhang zwischen den beiden Größen magnetische Feldstärke und magnetische Flussdichte.

Abb. 1: Neukurve und Hysteresekurve

Wollen wir eine Hysteresekurve experimentell ermitteln, so platzieren wir einen unmagnetischen Ferromagneten in einer Spule, die zunächst stromlos ist. Das bedeutet, H und B sind Null, und wir befinden uns in Abb. 1 im Koordinatenursprung. Erhöhen wir nun die Stärke des äußeren Feldes H (indem wir die Stromstärke des Spulenstromes erhöhen), so ändert sich B zunächst sehr wenig (dies wird in der Abb. 1 nicht deutlich), steigt dann aber sehr schnell an und erreicht ab einer gewissen Feldstärke +HS eine Sättigung. Das bedeutet, B ändert sich nun kaum noch, auch wenn H weiter erhöht wird. Diesen Kurvenverlauf nennen wir Neukurve (graue Punkte, grauer Pfeil).Die Neukurve tritt nur bei zunächst unmagnetischen Ferromagneten auf.

Reduzieren wir H wieder, so laufen wir nicht etwa auf der Neukurve zurück, sondern folgen der eigentlichen Hysteresekurve (schwarze Punkte, schwarze Pfeile), und wir messen für H = 0 eine von Null verschiedene Flussdichte +BR, das ist die Remanenz. Remanenz kommt vom lateinischen remanere und bedeutet „das, was übrig bleibt“. BR ist also die Flussdichte, die im Ferromagneten übrig bleibt, wenn das äußere Magnetfeld H ausgeschaltet ist. Jeder Dauermagnet „lebt“ von seiner Remanenz. Einen Ferromagneten zu magnetisieren und ihn zum Dauermagneten zu machen bedeutet, ihm seine Remanenz BR zu „verleihen“.

Jetzt ändern wir die Richtung des äußeren Feldes H (z.B. indem wir den Stromfluss in der Spule umkehren), erhöhen H wieder und beobachten B. Bei einer bestimmten Feldstärke -HC, der Koerzitivfeldstärke, messen wir B = 0. Das lateinische Wort coercere bedeutet „in die Schranken verweisen“. HC ist also die Feldstärke, die nötig ist, um B in seine „Schranken zu verweisen“ (B = 0 zu erzwingen). Erhöhen wir H weiter, so erreichen wir einen weiteren Sättigungspunkt (-HS). Durch Umkehrung der Richtung von H und Änderung der Größe von H kann man nun auf der Hysteresekurve zwischen den Punkten +HS, +BR,-HC, -HS,-BR,+HC,+HS umlaufen (schwarze Pfeile).

Abb. 2: Hysteresekurven eines Weichmagneten (links) und eines Hartmagneten (rechts)

Ferromagnetische Werkstoffe liefern unterschiedliche Hysteresekurven (Abb. 2). Die Hysteresekurven von Weichmagneten sind schmal und durch vergleichsweise kleine Remanenzen sowie Koerzitivfeldstärken gekennzeichnet. Die Hysteresekurven von Hartmagneten sind breit und durch vergleichsweise große Remanenzen sowie Koerzitivfeldstärken gekennzeichnet.

Bei der Analyse der magnetischen Hysterese stellen sich einige Fragen, die nachfolgend beantwortet werden sollen:
• Warum wird zunächst die Neukurve durchlaufen und später nur noch die Hysteresekurve?
• Wie ist das Sättigungsverhalten zu erklären?
• Wieso umschließt die Hysteresekurve eine Fläche und welche physikalische Bedeutung hat diese Fläche?
• Warum haben Ferromagnete einmal schmale Hysteresekurven (kleine umschlossene Flächen) und ein anderes Mal breite Hysteresekurven (große umschlossene Flächen)?

Physikalische Grundlagen der magnetischen Hysterese

Ferromagnetische Werkstoffe zeichnen sich durch ein kollektives Verhalten der Atome aus – die magnetischen Momente vieler tausender Atome sind in dieselbe Richtung orientiert und bilden so einen winzigen Dauermagneten. Diese Bereiche gleicher Orientierung der magnetischen Momente nennen wir Weißsche Bezirke. Die Weißschen Bezirke eines unmagnetischen Ferromagneten sind in alle beliebigen Richtungen orientiert und heben sich dadurch in ihrer magnetischen Wirkung auf. Der Werkstoff ist folglich zwar ferromagnetisch, aber kein Dauermagnet. Die magnetische Flussdichte B beschreibt etwas vereinfacht gesprochen das Verhalten der Weißschen Bezirke unter dem Einfluss eines äußeren Magnetfeldes H.

In Abb. 3 ist schematisch ein Werkstoff mit vier Weißschen Bezirken dargestellt. Die sechs Teilbilder der Abb. 3 werden nachfolgend erläutert:
1. Anfangs sind die magnetischen Momente in alle Richtungen orientiert und heben sich dadurch in ihrer magnetischen Wirkung gegenseitig auf – der Ferromagnet ist nach außen unmagnetisch.
2. Nun wird ein äußeres Magnetfeld H angelegt und die magnetischen Momente beginnen sich nach dem äußeren Feld auszurichten – ebenso, wie es ein Kompass tun würde.
3. Je stärker das äußere Magnetfeld H wird, desto mehr werden die magnetischen Momente in seine Richtung gezwungen. Das kennzeichnet den Verlauf der Neukurve.
4. Schließlich sind alle magnetischen Momente mehr oder weniger perfekt in Richtung des Feldes H ausgerichtet. Eine weitere Verstärkung des Feldes H ändert nichts mehr an dieser Ausrichtung – das kennzeichnet die Sättigung.
5. Drehen wir das Feld um, so folgen auch die Weißschen Bezirke. Es wird klar, dass eine einfache Umkehrung des Feldes H niemals dazu führen kann, dass wir wieder einen Zustand wie in Abb. 3, Teilbild 1erhalten (vier unterschiedliche Richtungen der magnetischen Momente in einem äußeren Feld mit einer festen Orientierung, das geht nicht). Es ist also schlichtweg nicht möglich, dass bei Feldumkehr auf der Neukurve zurückgelaufen wird.
6. Ist das Feld nur stark genug, so erreichen wir Sättigung mit umgekehrter Feldorientierung

Abb. 3: Ausrichtung der Weißschen Bezirke in einem äußeren Magnetfeld H

Allerdings folgen die Weißschen Bezirke und damit auch die magnetische Flussdichte B dem äußeren Feld H nicht sofort, sondern mit einer zeitlichen Verzögerung. Das liegt daran, dass sich die magnetischen Momente im Werkstoff nur dann drehen (und zum Teil auch verschieben) können, wenn es ihnen gelingt, innere Widerstände (z.B. Kristallbaufehler) zu überwinden. Um diese inneren Widerstände zu überwinden, müssen sie zunächst Energie „sammeln“ – das braucht Zeit und erklärt die zeitliche Verzögerung (Hysterese) zwischen H und B. Je mehr und je größere innere Widerstände vorhanden sind, desto mehr Energie muss gesammelt werden und desto größer ist die zeitliche Verzögerung zwischen H und B.

Findet sich die Energiemenge, die für das Drehen der Weißschen Bezirke notwendig ist, in unserer Hysteresekurve wieder? Ja, das ist nichts anderes als die Fläche, die durch die Hysteresekurve umschlossen wird. Die breiten Hysteresekurven von Hartmagneten mit einer relativ großen umschlossenen Fläche können wir also wie folgt erklären:
• Warum heißt ein Hartmagnet „Hartmagnet“? Weil er hart ist.
• Welche Stähle sind hart? Z.B. solche mit einem hohen Kohlenstoffgehalt.
• Was macht der Kohlenstoff (ob als einzelnes Atom oder in Form von Karbiden) noch, außer den Werkstoff hart machen? Er behindert die magnetischen Momente am Umorientieren.

Hartmagnete haben also deshalb eine breite Hysteresekurve, weil dieselben Prozesse, die den Werkstoff hart machen, die Drehung der magnetischen Momente behindern. Das macht es erforderlich, zunächst Energie für den Drehprozess zu sammeln, was seine Zeit braucht (Verzögerung). Die Fläche, die die Hysteresekurve umschließt, ist ein Maß für die Energie, die für diese Umorientierung benötigt wird. Weichmagnete (z.B. Stähle mit wenig Kohlenstoff) setzen der Umorientierung einen geringen Widerstand entgegen, folglich haben sie eine schmale Hysteresekurve.

Die Breite der Hysteresekurve und die Größe der Verzögerung zwischen Feldstärke H und Flussdichte B haben also etwas damit zu tun, wie viel Energie zur Verfügung gestellt werden muss, um die inneren Widerstände zu überwinden. Ist genügend Energie vorhanden, dann erfolgen die Drehungen der Weißschen Bezirke und damit die Änderung der magnetischen Flussdichte B sehr schnell. Diese schnelle Änderung ist auch der Grund für die etwas „viereckige“ Form der Hysteresekurve – das wird im zweiten Teil dieses Blogbeitrages genauer betrachtet.

Der ganze Prozess des Drehens der magnetischen Momente der Weißschen Bezirke ist vergleichbar mit dem Verhalten eines Gewichtes, das man auf einen Teppich legt, ein Gummiseil daran befestigt und dann am Seil zieht. Zunächst passiert … nichts – selbst wenn das Gummiseil bereits gespannt ist. Im Gummiseil muss zunächst genug Energie gespeichert werden, um die Haftreibung zwischen Teppich und Gewicht zu überwinden. Das Gewicht folgt also dem „Kommando“ des Gummiseiles mit zeitlicher Verzögerung. Je rauer der Teppich, desto mehr Energie muss gesammelt werden, und desto größer ist folglich die zeitliche Verzögerung. Ist genügend Energie gesammelt, beginnt das Gewicht sich zu bewegen – aber nicht langsam und allmählich, sondern schnell.

Werkstoffe mit schmalen Hysteresekurven – also Weichmagnete – finden dort technische Anwendung, wo beim Ummagnetisieren möglichst wenig Energie durch das Drehen (bzw. Verschieben) der Weißschen Bezirke verloren gehen soll. Ein Beispiel ist der Kern eines Transformators, der Primär- und Sekundärspule miteinander „verbindet“.

Werkstoffe mit breiten Hysteresekurven – also Hartmagnete – finden dort technische Anwendung, wo der Werkstoff sich möglichst schwer ummagnetisieren lassen soll. Ein Beispiel ist der Dauermagnet – der soll seiner Ummagnetisierung/Entmagnetisierung einen großen Widerstand entgegen setzen (er soll ja ein Dauermagnet bleiben).

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