11. Februar 2013

Wie funktioniert eigentlich Eindringprüfung?

Die Eindringprüfung ist eines der ältesten zerstörungsfreien Prüfverfahren. Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts war es zum Beispiel im Bereich Eisenbahn üblich, Räder auf Risse zu prüfen, indem man sie in große Tanks tauchte, die mit Schweröl gefüllt waren, das mit Petroleum verdünnt wurde. Die Oberflächen der Eisenbahnräder wurden nach der Entnahme aus dem Tank sorgfältig gereinigt und mit einer Suspension aus Kreide und Alkohol bestrichen.

Nachdem der Alkohol verdunstet war, wurden die Räder mit einem Hammer zum Schwingen angeregt, was das dazu führte, dass das Schweröl aus den Oberflächenöffnungen (zum Beispiel Risse) in die Kreideschicht getrieben wurde. Mögliche Fehler zeichneten sich auf den Radoberflächen als dunkle Anzeigen auf weißem Grund ab. Dieses Verfahren wurde bis in die 40iger Jahre des letzten Jahrhunderts angewendet und dann durch die aufkommende Magnetpulverprüfung ersetzt.

Moderne Prüfsysteme und Techniken der Farbeindringprüfung (Anwendung bei Taglicht) und fluoreszierenden Eindringprüfung (Anwendung in abgedunkelter Umgebung zur Erhöhung der Empfindlichkeit) arbeiten heute nicht mehr mit Schweröl und Kreide, aber wie damals werden auch heute folgende Komponenten benötigt:

  • Ein Reinigungsmittel (damals z.B. Petroleum)
  • Ein Eindringmittel (damals Schweröl)
  • Ein Entwickler (damals Kreide)
Jede Eindringprüfung beginnt immer damit, dass zunächst dafür gesorgt werden muss, dass das Eindringmittel überhaupt in vorhandene Risse eindringen kann. Das bedeutet Dreierlei (Bilder 1 und 2):
  • Putzen, um z.B. Ablagerungen, Schmutz, … aus Rissen zu entfernen, damit das Eindringmittel auch in die Risse eindringen kann.
  • Putzen, um die Oberflächenspannung des Bauteils soweit zu reduzieren, dass das Eindringmittel die Oberfläche optimal benetzt (Hinweis: beim Wachsen eines Autos nach dem Reinigen will man den umgekehrten Effekt erreichen – das Wasser soll die Oberfläche schlecht benetzen und abperlen).
  • Putzen, um alle Verunreinigungen von der Oberfläche zu beseitigen, denn man will nur sogenannte relevante Anzeigen sehen (hervorgerufen durch Oberflächenfehler im Bauteil) und nicht sogenannte Scheinanzeigen (hervorgerufen durch Eindringmittel, dass sich z.B. an Verunreinigungen, die nicht beseitigt wurden, abgelagert hat).

 

Putzen, Putzen, Putzen - die ersten Schritte bei der Eindringprüfung

Auf die saubere Bauteiloberfläche wird nun das Eindringmittel aufgebracht (Bild 3). Unter der Wirkung des Kapillareffektes dringt es in die Oberflächenöffnung ein. Je schmaler die Öffnung, desto größer der Kapillareffekt und desto größer die treibende Kraft auf das Eindringmittel. Die Eindring-Geschwindigkeit wird allerdings durch die Viskosität des Eindringmittels bestimmt. Je größer die Viskosität, desto langsamer die Eindringgeschwindigkeit und desto größer die Eindringzeit. Es wäre also keine gute Idee, Honig (sehr hohe Viskosität) als Eindringmittel zu verwenden …

bild3-4-eindringmittel-eindringpruefung.gif

Anschließend wird das Eindringmittel von der Bauteiloberfläche entfernt – aber so, dass es in den Rissen verbleibt (Bild 4). Es ist also keine gute Idee, zum Reinigen Pinsel oder Hochdruckreiniger zu benutzen. Diesen Reinigungsvorgang nennt man Zwischenreinigung, und auch das bedeutet wieder gründliches Putzen.

Nun wird der sogenannte Entwickler in einer möglichst dünnen Schicht auf die Bauteiloberfläche aufgetragen (Bild 5). Der Entwickler erfüllt drei Funktionen:

  • Er dient als Kontrastmittel – wie in den nachfolgenden Bildern skizziert, lässt sich z.B. eine rote Anzeige auf weißem Grund wesentlich besser erkennen als eine rote Anzeige z.B. auf dunklem Grund.
  • Er unterstützt das „Herausholen“ des Eindringmittels aus dem Riss. Warum ist das nötig? Weil die Kraft des Kapillareffektes hält das Eindringmittel im Riss festhält. Es hat also wenig Grund, aus dem Riss heraus zu kommen, wenn nicht eine Kraft angewendet wird, die größer ist als die des Kapillareffektes. Was für eine Kraft ist das? Das ist auch eine Kapillarkraft (Bild 6)!
    Der Entwickler besteht aus winzigen Körnern, die zum Teil auch noch von Öffnungen durchzogen sind. Die Zwischenräume zwischen den Körnern und die Hohlräume in ihnen sind viel schmaler als die Rissöffnungen und deshalb ist ihre Kapillarkraft größer als die des Risses. Das Eindringmittel wird also aus dem Riss und in die Entwicklerschicht gezogen.
  • Es „vergrößert“ die Rissanzeige. Weil das Eindringmittel in der Entwicklerschicht nicht nur in die Höhe, sondern auch in die Breite läuft, wird die Anzeige des Risses immer etwas größer sein, als seine Abmessungen (Breite und Länge) auf der Bauteiloberfläche (siehe auch Bild 9).

 

Wie erhält man die meisten Informationen über einen Oberflächenfehler bei der Eindringprüfung?
Indem man die sogenannte Anzeigendynamik beobachtet (Bilder 7 bis 9).
Das bedeutet, man beobachtet die Entwicklung der Anzeige im Zeitverlauf.

Die Eindringprüfung hat gegenüber anderen zerstörungsfreien Prüfverfahren einige Vorteile und Nachteile.
Einige davon wären:

  • Vorteil: Es können praktisch alle Materialien und Werkstoffe geprüft werden
  • Vorteil: Das Eindringverfahren kann sich an viele Bauteilgeometrien und Konturen anpassen
  • Nachteil: Das Verfahren ist relativ zeitaufwendig (aber dafür können auch relativ große Flächen in „einem Stück“ geprüft werden)
  • Nachteil: Es können nur Oberflächenfehler gefunden werden und auch nur solche, die auch zur Oberfläche des Bauteils hin offen sind

Die Eindringprüfung wird oft unterschätzt und ist weit mehr als der oft zitierte Umgang mit drei Dosen (Reiniger, Eindringmittel, Entwickler)!

Richtig angewendet kann man mit der Eindringprüfung (und speziell mit emulgierbaren, fluoreszierenden Eindringmitteln) mit sehr hoher Empfindlichkeit und Zuverlässigkeit prüfen. Das dafür erforderliche Know-how geht aber weit über den Inhalt dieses Beitrages hinaus.

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